Glasgow, die schöne, hässliche Stadt am Clyde überzeugt mich mit ihrem rauem Charme, mit Kunst, Musik und freundlichen Menschen. Foto und Zeichnung © RoswithaGeisler

„Schön, dass Sie hier sind,“ begrüßt mich die rotgelockte Dame im traditionellen „Kilted Skirt”, als ich völlig durchnässt in ihren kleinen Laden hineinspaziere. „It’s awfy dreich oot there the day,” setzt sie dann hinzu und weiß auch sofort, was ich dringend brauche – nämlich einen robusten Regenschirm. Keine Frage, denn der meinige ist nur noch ein zerfledderter Schatten seiner selbst.
Wir gehen hinüber zu den langen, bis zur Decke reichenden Regalen, sie zieht eine Schublade nach den anderen auf, öffnet dieses und jenes Exemplar, damit ich die mehr oder weniger ansprechenden Muster betrachten kann, und stellt sich dabei vor:
Erin ist ihr Name, eigentlich ist sie Malerin und vor vielen Jahren ihres Kunststudiums wegen von den Schafweiden der Lowlands in die schottische Metropole gezogen.

„Glasgow ist ein Miracle,“ sagt sie, „es ist kaum zu glauben, wie schön und interessant diese Stadt in den letzten 20 Jahren geworden ist. Früher war ein Urlaub in Glasgow unvorstellbar. Aber das Wetter hier testet unser aller Durchhaltevermögen”, fügt sie mit einem schelmischen Lächeln hinzu und reicht mir einen soliden Stockschirm mit grün-blauem Tartan-Muster. “Nehmen Sie den hier, der überlebt sogar Stürme bis 100 km/h.“

Mit dem neuen Schirm in der Hand fühle ich mich gewappnet, die verborgenen Schätze der Glaswegians zu entdecken.
Mir scheint, als hätte ich durch diese kleine Begegnung eine unsichtbare Eintrittskarte in eine Welt erhalten, in der jeder viktorianische Mauerstein eine Geschichte erzählt, jede Statue längst begrabene Träume wieder auferstehen lässt und jeder Song des unter einer gelbgrauen Markise spielenden Straßenmusikers etwas von dem Geist dieser Stadt offenbart.

Ich habe viel vor. Aber zuerst einmal steuere ich die Kelvingrove Art Gallery an, einen imposanten, klassizistischen Sandstein-Palast, der so viel mehr ist als ein Zufluchtsort vor dem Wetter. Die hohen Decken, die kunstvollen Gemälde und die antiken Artefakte erzählen Geschichten vergangener Zeiten.

Ich fühle mich wie Alice im Wunderland, eine Überraschung folgt auf die nächste, ich flaniere durch die schimmernden Glaspalast-Lichthöfe, bewundere das Gesso-Panel des berühmten Glasgower Künstlers Charles Rennie Mackintosh, schlendere durch einen Teil der 22 (!) Galerien, bewundere das Portrait des „Old Willie“, möchte dem dicken Elefanten „Sir Roger“ über den Rüssel streicheln und verliere mich fast völlig in den Farben der impressionistischen und excellenten schottischen Malereien.

Am liebsten würde ich hier den ganzen Tag verbringen.
Dabei wollte ich heute nur ein Pflichtprogramm abhaken, dachte, die Kelvingrove-Galerien und das Museum seien in gewisser Weise  überschaubar.
Glasgow, ich habe dich unterschätzt.

Auf dem Weg zum Bus bleibe ich dann vor dem kleinen Fish & Chips Stand der beiden bärtigen Brüder Colum und Carson stehen, die dieses Gericht in Reinform anbieten.
Sie verkaufen mir hier und jetzt den wahren Geschmack Schottlands, nämlich Schellfisch in Backteig , wahlweise mit Malzessig,  “Mushy peas”, das ist Erbsenpüree mit Pfefferminz, oder fritierten Kartoffelstäbchen – einfach, ehrlich und einzigartig.
Warum sie dieses Gericht auch selber am liebsten essen?
Colum, ein wahrer Philosoph des Frittierens, erklärt es mir: “Das Geheimnis ist die Liebe zum Öl!”

Ja, genau so ist Glasgow – eine Stadt, die selbst unter einem Schleier aus Regen zu strahlen vermag, eine Stadt, die beweist, dass wahre Schönheit nicht vom Wetter abhängt, sondern von den Menschen, der Musik und den Momenten, die sie unvergesslich machen.