*
Die grauweißen Haare des Mannes sind über der hohen Stirn zur Seite gekämmt und er trägt einen Schlips unter der grauen Strickweste.
Seine Augen sind noch immer jung, obwohl sein Gesicht ansonsten so aussieht, als hätte es nicht nur den einen Weltkrieg erlebt. Sein Händedruck ist fest und warm.
„Ich habe gerade Kaffee gekocht,“ sagt er.
Wir gehen in ein winziges Wohnzimmer, das wie ein Arbeitszimmer eingerichtet ist. Auf dem Tisch steht ein angejahrter Dell-Laptop, daneben liegt eine große Lupe. Überall häufen sich Papiere. Auf dem Schränkchen und an der Wand entlang stapeln sich Zeitschriften und Bücher. Gesteinsbrocken in allen Größen und Farben liegen auf der Fensterbank.
„Ich habe hier noch keine richtige Ordnung,“ erklärt er und räumt uns einen Platz auf dem Chesterfield-Sofa frei.
Ich sehe mich um. Keine Bilder an den Wänden, nur ein Panoramakalender vom Weltbild-Verlag mit Fotos von Steinlandschaften.
„Ich arbeite an einem großen Projekt, das hoffentlich mal ein Buch wird. Eine Kriegsgeschichte,“ sagt er, reicht uns einen klebrigen Aperitif eigener Herstellung und verschwindet hinter dem Vorhang, der die Kochecke abtrennt.
„Gibt es solche Bücher nicht bereits zur Genüge?“ fragt die E.
Der alte Mann kichert heiter: „Ja, das kannst du wohl sagen. Nur stimmt darin nicht alles. Und das hier handelt von meinem Krieg.“
Dann kommt er mit einem Tablett, auf dem drei Kaffeetassen bedrohlich klirren, hinter dem Vorhang hervor.
„Wahrscheinlich klingt es prätentiös,“ sagt er, „ aber wir Alten haben schließlich die Verantwortung, unsere Erfahrungen an die nächste Generation weiterzugeben. Wir waren ja schließlich beteiligt.“
Er stellt das Tablett auf einen Fußschemel, der aussieht, als hätte ihn jemand aus einem Feuer gerettet.
Eine Weile sucht er zwischen den Papieren herum.
Dann liest er uns unter gewaltigen Gesten und mit lauter Stimme Passagen seines Manuskriptes vor, in denen er die geologischen Transformationen des Kaukasus beschreibt.
21. Januar 2014
Steine – Teil 1
Posted by wholelottarosie under Artwork / Portraits, Skizzenbuch | Schlagwörter: Artwork, Bleistift, Erinnerungen, Gedanken, Graphitstift, Kunst-Blog, Notizbuch, Notizen, Porträt, Skizzen, Skizzenbuch, Skizzenbuch, Zeichnung |[32] Comments
21. Januar 2014 at 1:33 pm
Herrlich! So schön skurril und anrührend…
♥lich!
21. Januar 2014 at 1:55 pm
Liebe Margot, vielen Dank für dein Lob! Ich bin immer wieder fasziniert davon, dass Geologen sich von Steinen und Felsen Geschichten aus der tiefsten Vergangenheit erzählen lassen können.
21. Januar 2014 at 3:04 pm
Du weißt es ja, ich bin begeistert von deinen Beschreibungen, die in Einheit mit deinen Bildern sind. Man spürt das.
Wunderbar beobachtet und so fein gezeichnet!
Lieben Gruß, Brigitte
23. Januar 2014 at 6:58 pm
Liebe Brigitte, manchmal fange ich zuerst mit dem Zeichnen des Bildes an, manchmal aber auch mit dem Text. Ich habe da keine bestimmte Vorgehensweise. Es freut mich sehr, wenn du sagst, dass du das als Einheit siehst. Genau so habe ich es mir gewünscht. Dass der Betrachter es als ein zusammen gehörendes Ganzes sieht.
21. Januar 2014 at 4:17 pm
ich hoffe die Geschichte geht weiter – meinereiner möchte weiter lesen…
LG
Maccabros
23. Januar 2014 at 7:00 pm
Lieber Maccabros, ja, möglicherweise geht die Geschichte beim nächsten Mal weiter…smile* . Das kann sehr gut möglich sein…
Und dann auch noch danke für dein Lob!
21. Januar 2014 at 4:40 pm
Hilfst Du dem Erzähler alles zu illustrieren?
23. Januar 2014 at 7:08 pm
Er hat schon jemanden, der ihm mit einem Schuhkarton voller alter Fotos dabei hilft…
21. Januar 2014 at 5:05 pm
Bald ist auch diese Generation ausgestorben und dann bleiben die Erzählungen und Zeichnungen.
23. Januar 2014 at 7:20 pm
Da hast du recht, liebe Susanne. So vieles geht dann unwiderbringlich verloren, das es eigentlich wert gewesen wäre, auf irgendeine Art und Weise bewahrt zu werden.
21. Januar 2014 at 5:48 pm
…wiederum eine fantastische Kombination aus Text und Skizze von Dir; auch ich mag es sehr, von Erinnerungen der Menschen zu lesen…..und Steine mag ich halt auch…….
(Bis bald) Gruß LUMIC – Micha
23. Januar 2014 at 7:37 pm
Ja, ich weiss, dass du besondere Steine magst…smile*, und dass du sogar ganz wunderbar mit Ihnen arbeitest. Das schöne Lob gebe ich gerne für deine tollen Arbeiten an dich weiter….
21. Januar 2014 at 6:12 pm
Text und Bild, SEHR gelungen !!! Möchte auch mal wieder ein Moleskin 🙂 Interessant dass du eines mit kariertem Papier hast…
23. Januar 2014 at 7:50 pm
Hallo Tanrak, ich mag die Moleskine-Skizzenbücher am liebsten mit kariertem Papier. ich habe auch schon andere ausprobiert, und zwar in allen möglichen Varianten, aber diese sind mir nach wie vor die liebsten.
23. Januar 2014 at 8:23 pm
Hier stapeln sich auch so manche Versionen ! 🙂 Dachte immer mit Linien und Karos werde ich zu sehr eingeschränkt.. aber du beweißt ja sehr eindrucksvoll das Gegenteil !!!
28. Januar 2014 at 6:20 pm
…aber das Papier ! Das ist doch so dünn in dieser Version ? Es lässt mir keine Ruhe… ( auf der Suche nach DEM !! Notizbuch ) 🙂 ja ja, sollte wohl besser wieder mal selber etwas zeichnen und üben … 🙂
31. Januar 2014 at 4:10 pm
Ich probiere immer wieder mal anderes und besonderes Papier und verschiedene Notizbücher aus. Vor kurzem kaufte ich mir ein Leporello Notiz-Buch von Moleskine, das ist aus sehr dickem Papier. Vielleicht gefällt dir ja sowas. Ich finde es jedenfalls wunderschön – auch das Zeichnen darauf macht Spaß. Man kann sozusagen unendliche Geschichten zeichnen und schreiben.
Schau mal, hier ist ein Link, wo du es dir anschauen kannst.
http://www.modulor.de/shop/oxid.php/sid/x/shp/oxbaseshop/cl/details/cnid/KDT/anid/KDTZ
31. Januar 2014 at 4:16 pm
Toll mit dem Leporello !! Ja, wäre auch mal eine Idee… ein SkizzenTagebuch „am Stück“ sozusagen 🙂
Tausend Dank für den Link !!
21. Januar 2014 at 10:15 pm
Liebe Rosie,
deine Geschichten sind immer wieder äußerst interessant und spannend.
Nun überlege ich, wie es wohl weiterging.
Wunderbar auch deine Zeichnung.
Ganz liebe Grüße Bärbel
27. Januar 2014 at 3:03 pm
Liebe Bärbel..smile*..möglicherweise kommt demnächst eine Fortsetzung! Mal sehen….Übrigens freue ich mich immer, von dir zu lesen!
21. Januar 2014 at 11:01 pm
Die Alten (mich eingeschlossen) hoffen immer wieder, dass die Jungen (nächste und übernächste Generation) sich dafür interessieren, was sie hinterlassen. Leider ist das viel zu selten der Fall – oder ich täusche mich.
27. Januar 2014 at 3:23 pm
Da hast du wohl recht, liebe Clara. Es ist so schade, wie viele Geschichten, Erinnerungen, Erfahrungen und Weisheiten dadurch verloren gehen.
27. Januar 2014 at 4:55 pm
Meine – zumindest alle aus dem Blog – habe ich drucken lassen, da können sich Kinder und Enkel nicht beschweren, dass sie nicht wissen, wie es mir gegangen ist. *grins*
22. Januar 2014 at 11:18 am
was für eine wunderbare geschichte. mir ist wie wenn das mondsilberlicht die sonne berührte 😉
27. Januar 2014 at 3:28 pm
Vielen lieben Dank für deine schönen und innigen Gedanken zu dieser kleinen Geschichte. Ja, es sind meist die kleinen Dinge, die das Herz berühren.
22. Januar 2014 at 12:57 pm
Immer wieder ein Genuss deine Gedanken zu lesen und schauen, danke!
27. Januar 2014 at 3:34 pm
Lieber Krümel, das freut mich sehr und ich danke dir für deine netten Worte! Schön, dass du hier mitliest und mitschaust…….
28. Januar 2014 at 8:03 am
Alles neue und alte hier gezeigte lässt mich die beiden Star-Zeichnungen an unserer Wand über dem Esstisch neu und wieder anders betrachten, diesmal habe ich weit, weit nach unten gescrollt, um diese fantastischen Moleskine-Blätter zu betrachten- der Mann schaute bewundernd über meine Schulter….dein Blick auf alles ist ein besonderer, gewissermaßen stiftpoetisch!-
31. Januar 2014 at 4:16 pm
Vor ziemlich langer Zeit schrieb ich mir mal einen Text auf, nämlich: “Zeichnenlernen ist eigentlich eine Sache des Sehenlernens – des richtigen Sehens-, und das bedeutet sehr viel mehr, als lediglich mit den Augen zu sehen.” (Kimon Nicolaides)
Ich versuche immer, in meinen Zeichnungen nicht nur abzubilden, sondern auch das darzustellen, was „dahinter“ ist – dass die Zeichnung sozusagen selbst ihre Geschichte erzählt.
Und wenn mir das gelingt, bin ich glücklich.
28. Januar 2014 at 11:04 am
Und hier bloggt einer mit einem selbst gemalten Bild pro Tag, statt Text:
http://www.odftv.de/news_oder_spree/Gemaltes_Tagebuch-20161.html
31. Januar 2014 at 4:17 pm
Vielen Dank für den Tipp! Ich habs mir angeschaut und finde die Idee wundervoll.
2. Februar 2014 at 11:55 am
Die Einheit von Text und Zeichnung, auch hier wieder ein besonderes Erlebnis.
saludos Rue